Wachstumsfinanzierung durch Wagniskapitalgeber in Deutschland

Auszug aus Band 1 der Schriftenreihe des Instituts für Entrepreneurship der Frankfurt University of Applied Sciences; Kapitel 3.1.3 – Venture Capital-Finanzierung aus Sicht des Venture Capital-Nehmers; S. 40 – 47


3.1.3           Venture Capital-Finanzierung aus Sicht des Venture Capital-Nehmers

Während der Prozess der Venture Capital-Finanzierung im Rahmen des Wertschöpfungsprozesses von Venture Capital-Gesellschaften intensiv beleuchtet wurde, findet der Finanzierungsprozess aus Sicht des Venture Capital-Nehmers in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur deutlich weniger Beachtung. Detaillierte Ausführungen dazu finden sich vorwiegend in Form von Ratgebern oder Blogs, die auffällig häufig von Partnern und Mitarbeitern von Venture Capital-Gesellschaften verfasst werden. Dies verwundert kaum, da sie zum Expertenkreis zählen. Zudem haben sie ein hohes Interesse daran, dass Gründer den Prozess verstehen und die notwendigen Informationen in geeigneter Weise zur Verfügung stellen, um die sich aus der Prüfung ergebende Arbeitslast für die Mitarbeiter der Venture Capital-Gesellschaft zu minimieren. An dieser Stelle sollen die Hinweise einiger Literatur- und Blogquellen bezüglich der Herangehensweise an eine Venture Capital-Finanzierung zusammengefasst werden. Daran anschließend folgen Überlegungen zur Auswahl einer Venture Capital-Gesellschaft aus Sicht des Gründers.

3.1.3.1           Allgemeine Überlegungen zur Venture Capital-Finanzierung

Bevor eine Venture Capital-Finanzierung angestrebt wird, sollten sich Gründer die Eigenheiten dieser Finanzierungsform vergegenwärtigen. Eine Venture Capital-Finanzierung hat Auswirkungen auf die unternehmerische und persönliche Entwicklung von Gründern, da der Venture Capital-Gesellschaft in Beteiligungsverträgen wesentliche Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden, die sogar zur Entlassung des Gründers als Geschäftsführer führen können. Zudem sind die Anforderungen an die Fähigkeiten der Gründer durch ein beschleunigtes Unternehmenswachstum höher und zum Teil anders gelagert als bei einem organischen und ausschließlich selbstbestimmten Wachstum. Dass sich der Gründer für diese Art des Wachstums entscheiden kann, aber die damit einhergehenden negativen Aspekte berücksichtigen muss, wird auch als Gründer-Dilemma (Founder´s Dilemma) bezeichnet. Die Durchführung einer Venture Capital-Finanzierung bedeutet für Gründer eine erhebliche zeitliche Belastung neben dem operativen Geschäft und sollte deshalb mit großer Sorgfalt vorbereitet und umgesetzt werden. Eine entsprechende Motivation und Überzeugung beim Gründer wird daher vorausgesetzt.

Zur Vorbereitung einer Venture Capital-Finanzierung sind der Finanzierungsanlass und -zeitpunkt sowie die Finanzierungshöhe und die Bewertung zu definieren. Der Anlass der Finanzierung wird hier nicht als einfache Suche nach Geld verstanden, sondern spezifiziert den Stand der Produktentwicklung und Marktdurchdringung und die geplante Verwendung der einzuwerbenden Geldmittel im Sinne der Wachstumsmodelle. Dies ist besonders für die Auswahl der anzusprechenden Venture Capital-Gesellschaften und für die überzeugende Darstellung der angestrebten Unternehmensentwicklung von großer Bedeutung. Im Zusammenhang mit der Produktreife ist auch der Zeitpunkt der Ansprache von Investoren zu sehen, da beachtet werden muss, dass die jeweiligen Nachweise über die positiven Erfolgsaussichten auch erbracht werden müssen und nicht nur als bloße Vermutung vorliegen. Beim zeitlichen Aspekt ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass Finanzierungsrunden mit Venture Capital-Gesellschaften in der Regel mehrere Monate dauern und durch Zeiten, in denen Venture Capital-Gesellschaften keine Entscheidungen treffen, wie beispielsweise durch Urlaub oder während des Aufbaus neuer Fonds, zusätzlich verlängert werden können. Für diesen Fall empfiehlt es sich, bereits frühzeitig die Möglichkeiten einer Zwischenfinanzierung zu evaluieren, beispielsweise in Form eines Wandeldarlehens von bestehenden Investoren. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Höhe des einzuwerbenden Kapitals, da dies neben dem Geschäftsmodell für die Auswahl der anzusprechenden Venture Capital-Gesellschaften zentral ist. Bei der Ermittlung des Betrags spielt in erster Linie der Kapitalbedarf in Bezug auf das geplante Wachstum eine Rolle, wobei die Zielgröße zum Erreichen der Profitabilität geeignet sein sollte. Ist dies aufgrund des Geschäftsmodells oder der Branche nicht möglich, wird empfohlen, den Kapitalbedarf bis zur nächsten Finanzierungsrunde in zwölf bis 18 Monaten zu ermitteln. Dabei kann es sinnvoll sein, mehrere Wachstumsszenarien zu planen, um auf unterschiedlich hohe Kapitaleinwerbungen flexibel reagieren zu können. Von der Benennung einer Betragsspanne wird hingegen abgeraten. Stattdessen wird dazu geraten, den Kapitalbedarf niedrig anzusetzen, um eine höhere Erfolgschance für die Einwerbung zu erreichen. Die Bewertung ist in diesem Zusammenhang für die Gründer besonders wichtig, da sich die Verwässerung der Gründeranteile aus der Höhe des eingeworbenen Kapitals und der Bewertung ergibt. Deshalb, und weil in den seltensten Fällen klassische Bewertungsansätze anwendbar sind, verfolgen Gründer meist einen Bewertungsansatz, der sich an der Höhe der abzugebenden Anteile orientiert. Letztlich ist die Bewertung das Ergebnis der Vertragsverhandlung und somit auch abhängig von den sonstigen Bestandteilen der Beteiligungsverträge. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass nicht das Erreichen einer möglichst hohen Bewertung das Ziel einer Venture Capital-Finanzierung darstellt, sondern die erfolgreiche Umsetzung der Wachstumsstrategie nach der Finanzierung. Die Bewertung sollte somit keine übergeordnete Rolle spielen. Zudem kann als Regel gelten, dass je niedriger die Bewertung ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Finanzierung.

Bei der Auswahl der Finanzierungspartner steht das Identifizieren von geeigneten Venture Capital-Gesellschaften im Vordergrund. Die meisten Venture Capital-Gesellschaften haben eine klare Positionierung hinsichtlich der Finanzierungsphase, Branche, Investmenthöhe und weiterer Kriterien, die z. B. auf der Homepage oder in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter kommuniziert werden. Aufgrund der vielen Anfragen bei Venture Capital-Gesellschaften ist das Erhalten einer Empfehlung für die Kontaktaufnahme sinnvoll, beispielsweise von befreundeten Gründern, die bereits erfolgreich finanziert wurden. Viele Venture Capital-Gesellschaften halten jedoch auch Email-Adressen bereit, an die Finanzierungsanfragen geschickt werden können, oder bieten auf der Homepage die technische Möglichkeit, Finanzierungsanfragen einzureichen. Für Gründer, die über keine persönlichen Kontakte verfügen und dennoch einen direkten Zugang zu Venture Capital-Gesellschaft suchen, bieten verschiedene Berater neben der Ansprache spezielle Dienstleistungen an, die von der Aufbereitung der Unterlagen bis zur Vertragsverhandlung reichen. Jedoch werden die meisten dieser Berater kritisch betrachtet, da sie üblicherweise die Erfolgschancen einer Finanzierung nicht erhöhen können und zudem einen sofortigen Mittelabfluss erzeugen. Auf weitere Kriterien von Venture Capital-Gesellschaften und Eigenschaften ihrer Partner, die von Gründern zu beachten sind, wird in Kapitel 3.1.3.2 näher eingegangen.

Für die Ansprache von Investoren ist ein Bündel von Finanzierungsunterlagen erforderlich. Der Bedarf nach Art und Inhalt variiert je nach Venture Capital-Gesellschaft stark und erfordert dementsprechend eine sorgfältige Analyse der jeweiligen Bedürfnisse im Vorfeld. Es werden Unterlagen mit verschiedenen Detaillierungsgraden, beginnend mit dem OnePager oder Executive Summary bis hin zum ausführlichen Business Plan, unterschieden, die zu bestimmten Zeiten und Situationen zur Verfügung gestellt werden können. Präsentationen, auch Pitches genannt, können in kurzer, mündlicher Form als sogenannter Elevator Pitch oder unterstützt durch elektronische Präsentationsmedien im direkten, persönlichen Austausch oder bei Veranstaltungen erforderlich sein. Ziel ist es stets, den potentiellen Investor für das Unternehmen zu begeistern und in einen weiterführenden Austausch zu kommen, der idealerweise zum Abschluss eines Letter of Intend oder Term Sheets führt. Ist dies erreicht, fordert eine Venture Capital-Gesellschaft in der Regel zusätzliche Unterlagen an, um eine detaillierte Due Diligence durchzuführen, an deren Ende die Aufnahme der konkreten Vertragsverhandlung mit Ausarbeitung des Beteiligungsvertrages, der Satzung und gegebenenfalls weiterer Vertragswerke steht.

Ein wesentlicher Aspekt bei der Venture Capital-Finanzierung ist die Planung und Betreuung des gesamten Prozesses. Wie durch die vorgenannte Darstellung ersichtlich wird, handelt es sich dabei um ein komplexes Vorgehen, verursacht durch die unterschiedlichen Anforderungen der anzusprechenden Venture Capital-Gesellschaften. Für gewöhnlich wird vom Gründer erwartet, dass er diese Rolle übernimmt, da Venture Capital-Gesellschaften einen direkten Ansprechpartner wünschen und ohnehin nur mit den verantwortlichen Personen kommunizieren möchten. Innerhalb eines Gründerteams fällt die Rolle demjenigen Gründer zu, der die Rolle des CEO in Zukunft einnehmen soll.

3.1.3.2           Anforderungen des Gründers an Venture Capital-Gesellschaften

Ebenso wie die Venture Capital-Gesellschaften eine detaillierte Prüfung des Zielunternehmens im Rahmen der Due Diligence durchführen, ist es für die Gründer ratsam einen genauen Blick auf die Venture Capital-Gesellschaft zu werfen. Hierbei stehen der aktuelle Fonds, die Investitionsstrategie und die Partner der Venture Capital-Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses.

Bei der Betrachtung des Fonds sind für Gründer neben der Gesamtgröße insbesondere die verbleibende Laufzeit und die bestehende Reserve interessant. Dies ist besonders wichtig für die Finanzierungsfähigkeit in möglichen Folgerunden des Unternehmens, da die Bereitschaft zur weiteren Finanzierung von bestehenden Investoren als starkes Signal bei der Suche nach Neu-Investoren gilt. Stehen beispielsweise aufgrund der geringen Restlaufzeit keine oder nur geringe Kapitalmittel für eine Folgefinanzierung zur Verfügung, könnte dies die Gesamtentwicklung des Unternehmens in Zukunft hemmen. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, wie einfach das Geld für die Venture Capital-Gesellschaft bei ihren Investoren im Fonds abzurufen ist und welche Entscheidungsprozesse dafür erforderlich sind. Große Investoren im Fonds können einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung haben und innerhalb eines Finanzierungsprozesses für Verzögerungen sorgen, die die Verfügbarkeit der Geldmittel hinsichtlich des Zeitpunkts und der Höhe erheblich beeinflussen. Je nach Struktur und Organisation einer Venture Capital-Gesellschaft ist die Frage der Entscheidungsgewalt bei der Betrachtung des Fonds oder der Partner weiter unten zu beantworten.

Im Rahmen der Investitionsstrategie ist für den Gründer vor allem von Interesse, in welchen Branchen und in welcher Phase Investitionen getätigt wurden, die bereits zu erfolgreichen Exits geführt haben. Dieser sogenannte Track Record gibt Auskunft über die Branchenerfahrung von Venture Capital-Gesellschaften und die Fähigkeit zur Unterstützung von Wachstumsunternehmen in den jeweiligen Phasen. Daraus ergibt sich ein mögliches positives Markenimage der Venture Capital-Gesellschaft, das für Portfoliounternehmen einen vereinfachten Zugang zu Kunden, Mitarbeitern und neuen Investoren bedeuten kann. Dabei ist ebenfalls von Bedeutung, mit welchen anderen Investoren die Venture Capital-Gesellschaft bevorzugt zusammenarbeitet bzw. mit welchen kein gemeinsames Investment in Frage kommt oder unter welchen Bedingungen eine Beteiligung zu Schwierigkeiten führen kann, beispielsweise wenn andere Investoren in der Seed-Runde unverhältnismäßig hohe Anteile erhalten haben. Bei der Betrachtung der Investitionsstrategie ist das bestehende Portfolio ebenfalls wichtig, da bei mehreren Gesellschaften mit ähnlichen Geschäftsmodellen ein Interessenskonflikt entstehen kann. Aus Sicht des Gründers ist es unvorteilhaft, wenn sich daraus Portfolio-Kollisionen ergeben, denn Gründer sollten von ihren Investoren das volle Commitment erwarten dürfen. Grundsätzlich ist das Portfolio aber positiv zu betrachten, da sich üblicherweise ein Austausch zwischen den Gründern der Portfoliounternehmen etabliert und sich somit eine weitere Erfahrungsressource erschließen lässt.

Bei den Partnern der Venture Capital-Gesellschaft ist ebenfalls der Track Record der entscheidende Bewertungsmaßstab, jedoch auf die Person bezogen und die erfolgreichsten Venture Capitalisten werden beispielsweise in den USA in Form von Ranglisten veröffentlicht. Neben den erreichten Exits und der Branchenerfahrung ist bei den Partnern vor allem das Kontaktnetzwerk von großer Bedeutung und wird als die Ressource angesehen, die Gründern den größten Nutzen stiftet. Bei den weiteren Kriterien der Bewertung der Partner stehen weiche Faktoren wie Vertrauen und Respekt im Vordergrund. Positive Eigenschaften sind in diesem Zusammenhang eine proaktive Unterstützung, Verbindlichkeit bei Absprachen und eine einfache Verfügbarkeit des Partners für den Gründer. Weiterhin sollte die Ausübung der Kontrollfunktion durch den Partner in einem ausgewogenen Aufwandsverhältnis für den Gründer stehen, dem Gründer ausreichend Freiraum zur Entfaltung geben und im Sinne eines Sparring-Partners für den Gründer handeln. Da sich diese Eigenschaften vor Vertragsabschluss meist nur unzureichend bewerten lassen, sollten Gründer im Vorfeld persönliche Treffen im formellen und informellen Rahmen wahrnehmen und sich im Laufe eines Verhandlungsprozesses sukzessive Klarheit über die jeweiligen Eigenschaften des Partners verschaffen.


Hinweis: alle Quellen und Verweise des Originaltext entfernt; keine zitierfähige Version.


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